Wolkenkratzer mit Kratzern
Der Maha Nakhon Tower in Bangkok ist ein Blickfang. Entworfen von einem Deutschen: Ole Scheeren.
„Ist das der verrückteste neue Skyscraper der Welt?“, fragte CNN bei der Fertigstellung des Maha Nakhon Towers im Jahr 2018. Oft wird das Hochhaus als "neue Ikone der Stadt" bezeichnet. Bei manchen weckt es Assoziationen mit einem verdrehten Zauberwürfel oder mit dem Computerspiel Tetris. Die Fassade scheint zu bröckeln, es fehlen Quader, der Turm wirkt unfertig. Das ist gewollt: Laut Architekt Ole Scheeren soll der Maha Nakhon Tower „das Werden“ und „die Entwicklung“ symbolisieren. Bei der Konzeption des Hochhauses stellten sich schwierige Fragen, etwa folgende: „Wie lässt sich ein besonderes Gebäude entwerfen, in einer Stadt, in der alles bereits besonders ist?“
Maha Nakhon ist mit 314 Metern derzeit der zweithöchste Wolkenkratzer in Bangkok. Der Turm, der sich im Geschäftsviertel Sathorn befindet, beherbergt Luxus-Apartments, ein Hotel und eine Aussichtsplattform, die sich als Touristenattraktion etabliert hat.
Der Designer des Skyscrapers, Ole Scheeren, ist 1971 in Karlsruhe geboren und studiert Architektur in seiner Geburtsstadt sowie in Lausanne und London. Bereits im Alter von 31 Jahren wird er Partner von Rem Koolhaas im Architekturbüro OMA in Rotterdam. 2010 gründet er sein eigenes Büro mit Niederlassungen unter anderem in Peking, Hongkong, Berlin und London. Zu den bekanntesten Bauwerken von Ole Scheeren gehören die Zentrale des chinesischen Staatssenders CCTV in Peking und die Wohnanlage The Interlace in Singapur.
Die Bauten des Ausnahmearchitekten werden hochgelobt, aber auch kontrovers diskutiert. So bemängelt etwa ein Kritiker in der FAZ, dass Scheerens jüngste Projekte wohl eher "dem Geschmack der Nouveau Riche und der Nachfrage auf den Luxus-Immobilienmärkten in Schwellenländern" entsprächen. Und in der taz heißt es: „Seine chinesische Megaarchitektur scheint fast obszön in ihrer Gigantomanie, Fragen zu Ökologie und zum ethischen Preis der Bauten, die sich insbesondere in autoritär regierten Ländern wie China stellen, wischt er betont lässig weg. Als seien es die falschen Fragen für jemanden, der eben in jeder Hinsicht groß denkt.“
Ole Scheeren beschrieb seine Sicht auf Hochhäuser einmal so: „Türme sind meistens stumme Gebilde – vertikale Silos, die die Menschen nicht miteinander verbinden, sondern sie in vertikaler Schichtung voneinander und vom Raum der Stadt, die sie umgibt, isolieren.“ Dagegen soll der Maha Nakhon Tower in Bangkok ein Gegenentwurf zum herkömmlichen Hochhaus sein, wie Ole Scheeren in einem Vortrag erläutert: Im Planungsprozess sei es darum gegangen, den stummen Schaft des Turms aufzulösen, nämlich durch die pixelartige Struktur, die sich wie eine Helix um den Bau windet.
Laut Projektskizze soll Maha Nakhon "gemeinsame Räume für urbane und soziale Interaktion" schaffen und "die Verantwortung des architektonischen Raums für die Gesellschaft als Ganzes wiederherstellen". Aber wird dieser Anspruch tatsächlich erfüllt? Zwar ist der Platz vor dem Turm öffentlich zugänglich, ebenso wie das "Observation Deck" und der siebenstöckige „Cube“, ein Nebengebäude mit noblen Geschäften und Restaurants. Aber schon die Ticketpreise für die Aussichtsplattform dürften für thailändische Durchschnittsverdiener kaum bezahlbar sein. Handelt es sich am Ende doch nur um einen weiteren "vertikalen Silo"? So oder so: Maha Nakhon erregt Aufsehen und ist ohne Zweifel architektonisch spektakulär.
Link-Tipp
In der Interviewreihe „SWR 1 Leute“ berichtet Ole Scheeren über seine berufliche Laufbahn, seine Projekte und wie er sich mit seinen preisgekrönten Bauten einen internationalen Ruf erarbeitet hat.
Text und Fotos: Jens Karbe, Autor des Romans GEISTERCONDO
(Stand: Oktober 2023)
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