Invasion der Blöcke
Eine Stadt im Höhenrausch: In Bangkok sprießen die High-Rise-Condos wie Pilze aus dem Boden.
Sie tragen Namen wie "The Address", "Noble" oder "The Rich". Die Apartment-Hochhäuser – auch Condominium oder Condo genannt – haben in den vergangenen Jahrzehnten das Gesicht von Bangkok enorm verändert, beispielsweise rund um die Sukhumvit Road: Einst von Reisfeldern geprägt, entwickelt sich dort in den 1950er-Jahren ein Vorort der thailändischen Hauptstadt, mit vielen Gärten und Bungalows. Bis zu den 1970er-Jahren siedeln sich Hotels, Bars und Restaurants an. In den 1980er-Jahren beginnt der Condo-Boom, wie Marc Askew in seinem Buch über Bangkok beschreibt. Die Wohnhochhäuser schießen aus dem Boden, ebenso wie die Bürotürme und Shopping Malls.
Laut der Immobilienfirma CBRE existierten im Jahr 1988 lediglich rund 2.600 Condo-Units im Zentrum der Megametropole, im Jahr 2018 waren es etwa 140.000 und im gesamten Stadtgebiet rund 630.000. Der Höhenrausch der vergangenen Jahrzehnte weist nur wenige Dämpfer auf, beispielsweise infolge der Asienkrise Ende der 1990er-Jahre oder während der Corona-Krise. Seit 2022 scheint der Condo-Boom weiterzugehen – obwohl immer wieder von einem Überangebot die Rede ist. 100.000 Units sollen leer stehen. Eine Stadt voller Geistercondos?
So oder so: Das Auswahl an Condos ist groß und wird auf diversen Online-Plattformen vermarktet. Die Bandbreite reicht von mondänen Türmen in bester Lage bis zu einfach ausgestatteten Wohnblöcken am Rande der Stadt. Im Zentrum nahe der öffentlichen Nahverkehrslinien finden sich vor allem Luxus-Condos für betuchte Thailänder sowie ausländische Investoren und Expats. Für die Mehrheit der einheimischen Bevölkerung – also Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen – sind die hochklassigen Immobilien nicht erschwinglich.
Das Spektrum der Architektur der Condos reicht von höchster gestalterischer Qualität bis zu trostloser, austauschbarer Massenware. Viele Skyscraper wirken wie einsame Monolithen – durch Mauern abgeriegelte Luxus-Enklaven, anonyme Orte ohne Verbindung zur Stadt.
Der Siegeszug der High-Rise-Condos ist keine Besonderheit von Bangkok, sondern ein Phänomen in ganz Asien und rund um den Erdball. In manchen Ländern ist eine Debatte über „Condoismus“ und „Condofizierung“ entbrannt. Auch in Thailand gibt es kritische Stimmen, etwa in der Bangkok Post oder im BK Magazine. Dort heißt es, frei übersetzt: „In dieser Stadt werden ganze Nachbarschaften niedergerissen, um Platz für neue Condos zu schaffen. Wird das Sterben der Communities dazu führen, dass all die Menschen verschwinden, die als Straßenhändler ihr Geld verdienen?“ Und weiter: „Sicherlich sehnen wir uns danach, in modernen Apartments zu leben, aber zu welchem Preis?“
Der englische Wissenschaftler Russel Moore hat für eine Studie zur Gentrifizierung in Bangkok Thailänder interviewt, die in Condos wohnen. Das Ergebnis: Zwar bedauern einige die Anonymität innerhalb der Apartmentwohnhäuser und die geringen nachbarschaftlichen Beziehungen zu ihrem Stadtviertel. Aber insgesamt fühlen sie sich wohl und schätzen vor allem den Komfort und die Sicherheit ihres Zuhauses sowie die Nähe zu den BTS Skytrains, die eine schnelle Verbindung ins Zentrum garantieren.
Kritischer sind Thailänder, die wegen eines Condo-Neubaus aus ihrem Wohnviertel vertrieben wurden – auch diese Menschen hat Russel Moore befragt. Viele haben den Verlust ihrer alten Community als sehr belastend erlebt. Zwar konnten manche die schwierige Situation relativ schnell meistern und ein neues Zuhause finden. Aber für andere war es ein harter Kampf. Die Betroffenen sagen Sätze wie: “Development doesn’t really help when the human heart is getting worse, right?” Solche verzweifelten Stimmen machen deutlich, dass in Bangkok die Welten aufeinanderprallen – zwischen den Urban Poor und der High-Society, zwischen Holzhütten und Wolkenkratzern, zwischen Abgrund und Höhenrausch.
Link-Tipp
Wie lässt sich angemessener und bezahlbarer Wohnraum für alle schaffen? Wie finden die Menschen mit geringem Einkommen einen Platz zum Leben in Bangkok?
Somsook Boonyabancha von der Asian Coalition for Housing Rights engagiert sich für ein zukunftsweisendes Modell: Ziel ist es, die Urban Poor nicht zu vertreiben, sondern ihre informellen Siedlungen und Slums aufzuwerten, und zwar gemeinsam mit den Bewohnern. Die Grundidee: Nicht Investoren bauen Hochhäuser mit Sozialwohnungen, sondern die Menschen in den einkommensschwachen Communities werden eingebunden, Lösungen mitzuentwickeln und ihre Viertel lebenswert zu gestalten.
Text und Fotos: Jens Karbe, Autor des Romans GEISTERCONDO
(Stand: Januar 2023)
Comments